General-Anzeiger vom 14. Juni 2002
zur Aufführung von Raimund Samson und Michelle Owen:
"Freunde kriegt man nicht geschenkt"
Es folgt ein Bericht von H.T.R.:
Hamburger Figurentheater spielte für Kinder im Labyrinth
Nach einem Gastauftritt im Gemeindekindergarten Collinghorst am vergangenen Donnerstag, zu dem auch die Kinder aus dem Kindergarten Backemoor zahlreich erschienen waren, fand am vergangenen Freitag die angekündigte Veranstaltung im Forum des Labyrinths in Ostrhauderfehn statt (der GA berichtete darüber).
Zwei Klassen der Idafehner Grundschule und Erstklässler der Middendorf-Schule in Ostrhauderfehn waren mit ihren Lehrerinnen der Einladung des Kunstmeisters gefolgt. Der Himmel jedenfalls verhieß nichts Gutes als man mit vereinten Kräften den Weg zum Forum des Labyrinthes fand. Die bange Frage nicht nur der Aktiven stand unausgesprochen im Raum: Wird das "Wetter halten"? Ein Abbruch der Aufführung wäre vor allem für die Kinder eine große Enttäuschung gewesen, und einzelne Kinder waren nicht mit Regenausrüstung ausgestattet ! Aber Schaden drohte auch der Verstärkerelektronik und den Funkmikrophonen.
Im nun folgenden Auftritt der Spielfiguren erlebten die überwiegend begeisterten Kinder einen gutmütigen, sehr hilfsbereiten Bären, der auf der Suche nach Spielgefährten und Freunden sehr viel Engagement aufwendet. Dabei stößt seine Hilfsbereitschaft immer wieder auf unüberwindbare Hindernisse, so sehr er sich auch abmüht. In der Spielhandlung symbolisieren Raupe, Igel, Frosch, Rabe oder Häsin schier unüberwindbare Barrieren des "Anderssein". Den Frosch versteht Carlo, der Bär nicht, weil die Amphibie immer nur quakt; der Häsin sind seine Ohren nicht lang genug, obwohl es ihr gelingt, zumindest eines ziemlich lang zu ziehen. Stiller Beobachter der Szene ist die Bärin Karla, die hin und wieder in Erscheinung tritt und schließlich an seinem Verhalten Gefallen findet... Zu einem liebevollen "tete a tete" in der mit Bildern ausgestatteten Bärenhöhle konnte es wegen des einsetzenden Regens nicht mehr kommen .Auch das gemeinsame Picknick der beiden "Bären" mit den Kindern fiel mangels Futter für einige Kinder buchstäblich ins Wasser.
Die Französin Michelle Owens hat ihre Ambitionen zum Puppenspiel aus einer Begegnung mit einem Müllwagen entwickelt, an dessen Seitenwänden haufenweise weggeworfenes Kinderspielzeug angebracht war. Dieses Erlebnis hat sie, wie sie selbst sagt, dazu inspiriert, aus weggeworfenen Stofftieren neue Spielfiguren zu entwickeln und ihnen einen "Charakter" zuzuweisen. So entstanden unter anderem gleich mehrere Raupen in verschiedenen Entwicklungsstadien oder eine Riesenbiene, deren Facettenaugen überdimensioniert mit Hilfe einer Motorradbrille dargestellt das Lukrative an Frühlingsblüten ausspähen . Auch "Rudi der Rabe" wurde seinem Schicksal, ein vorzeitiges Ende in einem Abfallsack zu finden, durch Owens tatkräftiges Eingreifen entrissen. Der noch leicht vorhandene französische Akzent der Puppenspielerin stört den Handlungsablauf und die Sprachübertragung auf die Charaktere keineswegs. Im Gegenteil: Die den Franzosen nachgesagte temperamentvolle Lebenseinstellung
überträgt sie sowohl auf die Situationen des Handlungsablaufes als auch auf die kindlichen Betrachter.
Raimund Samson hat nach seinem Studium der Sozialpädagogik seine Identität als Künstler, Lyriker und Verfasser von Essays entdeckt. Bekannt geworden ist er in der Literaturszene darüber hinaus als Rezensent und als Herausgeber der Literaturzeitschrift "Herzgalopp". Seine jüngst herausgebrachte Anthologie "Feldpost 2000" konfrontiert den Leser unter anderem mit der Fragwürdigkeit einer Beteiligung deutschen Militärs in Krisengebieten des Auslands. Als Puppenspieler besuchte er mit "Samsons Puppenbande" seit mehr als zehn Jahren viele Kindergärten und Kinderfeste in ganz Deutschland.
Dem Veranstalter Reliwette geht es darum, so wie er schreibt, "die Kreativität der Kinder in einer wichtigen Entwicklungsphase" in den Vordergrund zu stellen. Hierbei erfüllen gerade Grundschulen eine wichtige Funktion nicht nur durch das Vermitteln von "Wissen". Der Klassenverband erfüllt gleichzeitig die Funktion einer Familie oder Ersatzfamilie. Grundschulen sind "Zulieferer" für die weiterführenden Schulen bis hin zur Universität".
Harte Kritik übt der Idafehner Künstler an der Verwendung öffentlicher Gelder: "Zusammengestrichene Lehrpläne und fehlendes Lehrpersonal passen gut in die "Landschaft von insuffizienten Elternhäusern", in denen beide Elternteile diverse Jobs annehmen müssen, um entweder den Lebensstandard zu erhalten oder im schlimmeren Falle das Überleben der Familie sicher zu stellen. Vielleicht sollten wir uns an Michael Endes "Unendliche Geschichten" oder "Momo" erinnern, wenn wir an die Verlangsamung von Konsum- und Industrieprozessen denken und zu anderen Werten finden. Der Lösungsansatz mag tatsächlich in der Fähigkeit zur Entwicklung der kindlichen Kreativität zu finden sein. Aber wie ? In Zeiten bedrohlich zusammengestrichener Haushaltsmittel bleibt auch die Frage zu klären, ob denn der Beschaffung teuren Rüstungsmaterials Vorrang vor einer umfassenderen Ausbildung unserer Kinder einzuräumen ist? Diese Kinder gestalten in naher Zukunft die Geschicke unserer Gesellschaft !"
Weitere Auftritte des Hamburger Puppenensembles sind für den 8.8. und 9.8. um 10 Uhr 30 geplant - wenn das Wetter mitspielt !
Hartmut T. Reliwette
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