Zwei nackte Damen - fleischfarben - posieren in knietiefem Wasser eines mit Gesteinsbrocken übersäten
Bachlaufes zur Winterzeit. Surreal wirkt das überarbeitete Foto mit den beiden Schaufensterpuppen.
Die Titelgestaltung des Hochglanz Covers des 128 Seiten umfassenden Bandes ist von Frank Jacob. Das soll hier
Erwähnung finden, denn die Covergestaltung ist hervorragend gelungen.
Zum Buch selbst:
Der Leser findet lästerlich - ironische Prosa- und
Reim-Satire, letztere als Vierzeiler gedichtet unter
Verzicht auf vierfüßige Jamben (wie wir sie bei Friedrich Schiller oft finden); vereinzelt unter
lyrische und nicht lyrische Prosa-Texte gestreut;
ketzerisch alle Male - auch selbstkritisch. Die Menschen
stecken demnach voller Schwächen, leben absurde oder
groteske Verhaltensformen aus. Davon weiß der Autor in
seinen vorgestellten Kurzgeschichten und Gedichten
einiges zu berichten. Zuweilen fühle ich mich beim Lesen
an Monthy Python erinnert (Ritter der Kokosnuss), wenn
der Protagonist dem Eindringling erst den Zutritt zur
Brücke gestattet, nachdem ihm Arme und Beine
abgeschlagen wurden. Einzige Bedingung: Der Kampf muss
als unentschieden gewertet werden!
Ein Unentschieden gibt es bei Martin Miersch nicht -
zuweilen ein Einlenken z.B, wenn der argwöhnende Ehemann
bei seiner Heimkehr den Nikolaus plus Gehilfen in der
gemeinsamen ehelichen Wohnung antrifft, wobei der
eigentliche Liebhaber während der Prügelszene unter dem
Bett ausharren muss.
Wenn Briten, Amerikaner und noch einige andere im Irak "nach dem Rechten sehen"
(Anmerkung des Verfassers), interpretiert Miersch diesen
gewaltsamen Eingriff sarkastisch als Maßnahme von "Erziehungsberechtigten", welche "die alte Ordnung
wiederherstellen". Auch an J.F. Kennedys "guter Reputation" wird gekratzt. Denn außer "Kriege
angezettelt" zu haben (ein Hinweis auf die Unterstützung von Exil-Kubanern und deren Landung in der Schweinebucht
sowie die Entsendung "militärischer Berater" nach Süd Vietnam) musste der Präsident auch den Satz lernen: "Ich
bin ein Berliner". Dafür wurde extra ein Rundfunkjournalist aus Deutschland eingeflogen. "Sprechen Sie den folgenden Satz, Herr Präsident: Ich
bin ein Berliner!"
"Ich bin ein Broyler", "ich bin ein Boiler" und anderes Lachhafte...
Wenn in Berlin apokalyptische Endzeitstimmung wegen Stromausfalls
herrscht, taucht Arnold Schwarzenegger auf und rettet
Angela Merkel vor zwei Straßenräubern. Interessant
dargestellt auch die Reaktion eines Bauern auf den
gerichtlichen Beschluss des Insolvenzverfahrens, wenn
dieser den alten Lanz anwirft und als Kolonnenführer auf
einer stark befahrenen Bundesstraße für einen Stau sorgt,
der sich nach dem Motto "Neustart" erst kurz vor einer
Radarfalle rasant auflöst.
So lästert sich Miersch u.a. mit politischem
Scharfsinn durch das nähere und weitere Umfeld
gesellschaftlicher, zeitgeschichtlicher Auffälligkeiten
und scheut auch vor der fiktiven Begegnung mit dem
Teufel nicht zurück. Einer seiner literarischen
Höhepunkte in vorliegendem Band: Slobodan und Bin
begrüßen den Neuankömmling, George, in der Dreimannzelle
des Europäischen Gemeinschaftsgefängnisses für
Internationale Kriegsverbrecher, wobei in der
Gefängnisbücherei die Bibel und der Koran - nur durch
die Altenburger Skatregel getrennt - im gleichen Regal
stehen.
Absurd ist das Leben und mit ihm die Ereignisse -
zumeist putativer Art - aber nicht nur. Wie ist das
Ganze jetzt zuzuordnen? Dem schwarzen Humor,
dem Sarkasmus, der Ironie? Satire scheint es alle Male zu
sein, auch "lesbares" Kabarett? Die Grenzen sind
fließend. Wenn man nicht gerade Betroffener ist, kann
man sogar darüber lachen... Wäre der Slogan nicht
urheberrechtlich geschützt, könnte man auch ausrufen:
"Sind wir nicht alle ein wenig Bluna?" - ohne jemandem
wirklich auf die Füße zu treten. Denn das besorgt schon
der Autor des Buches...
Der Autor trifft meinen Nerv - aber bitte, wenn das nicht subjektiv ist...
Hartmut T. Reliwette
Martin Miersch: "In flagranti... und andere Katastrophen"
2004, VirPriV-Verlag, Bad Oeynhausen,
ISBN 3-935327-23-4, 128 S., Preis: 9,90 Euro.
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