Der ewige Erfinder neuer Wortschöpfungen ist ein alter Bekannter innerhalb der zeitgenössischen Literaturszene. Anders als jene Kollegen und Kolleginnen, die dem Boom der Kurzkrimi-Szene „literarischen Tribut zollen“, setzt Saß die Erkenntnisse aus den Studiengängen der Soziologie, Germanistik, Geschichte und politischen Wissenschaften in mehr oder weniger kurzen Episoden seinem Erleben in der Realität entgegen. Wenn man genau „hinliest“, wird an einer Stelle deutlich formuliert, dass diesem Schaffen außer gelegentlichem Schulterklopfen kein verdaulicher Einspeis (Anmerkung des Verfassers) dem „Magen zuzuführen sei“ (Anmerkung des Verfassers).
Der Autor gibt nicht nur seinen Protagonisten bezeichnende Grobnamen wie „Schorf Schlaffschiß“ oder „Kokolores Greinbeiß“, sondern auch Städten, Burgen oder Dörfern so wie z.B. der "Pimmelburg" über der Ortschaft "Pimmelberg“. Die aus dem Zeitgeschehen abgeleiteten phantasievoll niedergeschriebenen Begebenheiten haben durchaus Bezug zur Realität, die sich brutal dem sehenden Auge und wachen Verstand offenbart. Mich erinnern Inhalte seiner Stories und die Verarbeitung des „Stoffes“ stark an die „Ritter der Kokosnuss“ derGruppe „Monty Python“, die eine eigene Art von Humor an das Kinovolk herantrug. Nicht alle Menschen fanden die Inhalte lustig! Absurd und komisch bedeutet nicht, dass Seh -oder Lesbares an den Haaren herbei gezogen werden muss. Es kommt immer auf die Umstände an, unter denen ein Autor die Lebens- und Lesebühnebühne bestreitet: mit oder ohne Zuschauer(n). Ein „Lehrsatz“ aus dem Munde des Autors fällt auf: “Wir leben alle im Kapitalismus, aber nicht jeder von uns ist ein Kapitalist“. In einigen Episoden geht es gar detailgetreu eklig daher (Elend in Neapel).
Saß spielt mit Worten wie ein Virtuose ein Stück von Chopin auf dem Klavier. Das ist köstlich. Diese „Klaviatur der Wortschöpfungen“ bricht auch dann nicht ab, wenn seine Protagonisten in widerliche bis brutale Szenen verwickelt werden. Da nimmt der Autor kein Blatt vor den Mund. Da vermischt sich Surreales mit fiktiven Seelenzuständen. Um die „Bundesschädel dieser Tage“ aus ihrer Lethargie und/oder Verdrängung in den Comedy-Konsum zu reißen, nur um den nächsten Tag außerhalb einer Anstalt zu überstehen, scheinen drastische Schilderungen von Denk- und Lebensabläufen als ein diskussionswürdiger Ansatz. Bei anderen Zeitgenossen rennt Saß dagegen offene Türen ein, hinter denen sich auch Zungenschnalzer oder „bösartige“ Lacher aufhalten mögen.
Rüdiger Saß, Das nervöse Zeitalter
160 Seiten, Paperback, Mattglanz-Cover, Taschenbuch – Format
Gabriele Schäfer Verlag, Herne
ISBN 978-3-933337-98-6
Hartmut T. Reliwette
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