Schimpfkanonade gegen merkantile Bluthaie
Unser aller Barde, Reinhard Mey, sang 1977 mit dem Titel Annabelle: „Ich bitte dich, komm sei so gut, mach meine heile Welt kaputt.“ Rüder Saß kann dieses Thema auch, nur er unterstützt das Thema nicht musikalisch. Der Autor beschränkt sich auf den Text, und der hat es in sich …
Wortschöpfungen kann der Autor wie vom Fließband liefern, in teils groteske Handlungsabläufe einbauen. Substantive, Verben sowie Adverbien lassen sich durch Hinzufügen oder Weglassen einiger Buchstaben einer Terminologie hinzufügen, einem Duktus, der dazu geeignet ist, Saß als Urheber eines Textes zu erkennen. Es ist seine unverkennbare Handschrift, die beim Leser ankommt, oder ihn nach den ersten Seiten Lesegenusses verschreckt.
Es geht unter anderem um einen gewissen Bohunke, den Firmeneigner eines Handelsparadieses in Humbug in Nord-Teutonien. Während sich Bohunke auf den Weg macht, geeignete neue Handelsmärkte zu erschließen, hütet Mutter Mundgeruch, seine Sekretärin, das Imperium. Aber der Geizkragen reist nicht alleine: Sein Erzfreund, Gut Fotzenhut, begleitet ihn.
Was verbirgt sich hinter verdrehten oder entstellten Namen, Satzgegenständen oder Satzaussagen?
Gut Fotzenhut erinnert an ein Gut, das Erträge erwirtschaftet, aber in diesem Fall unter einem Hut der Hinterfotzigkeit mit seinen Mitmenschen umgeht, denen er das Geld mit probaten Mitteln aus der Tasche zieht.
Der Fahrer des Vehikels heißt Schräng Deng. Das Endziel der Reise: Schlanghai. Doch zuvor soll es über Mostkau gehen (der Autor hat es sich verkniffen, ein „Kotzmau“ daraus zu machen ) und natürlich Wahrschau, so wie über 30 bis 40 weitere Orte, deren Namen sich als nur schwer lesbar und identifizierbar erweisen. Ulan, Udo und Schund sind noch die einfachsten Bezeichnungen. Tschangkiakou, Tschjenschowo und Nowokusnezk sind fast unaussprechlich. Nischnineudunst ist dem mittleren Identifikationsbereich zuzuordnen.
Bratbokowskis Schwiegerschwiele, eine Dreizentnertomate, reist auch mit. Sie sitzt zwischen den Geldadligen auf der Rückbank. Sie geht dem Geschehen irgendwann verloren.
Im Verlaufe der nächsten Buchseiten reist auch der Leser mit und wird Zeuge von allerhand Schiefläufen, die sich im Verlaufe der weiteren Reise einstellen.
Der Leser mag argwöhnen, welcher der Protagonisten an einer Stelle des Lesestoffes an einem Bambusrohr saugt, um sich das Gehirn einzunebeln oder gar in einen nachtfinsteren Raum seiner Gehirnwindungen abzutauchen? Oder war es der Autor selbst, dem ein geeignetes Kraut gewachsen war, um solche Sätze hinzubekommen?
Da heißt es auf Seite 57 in irgendeinem Zusammenhang (Leseprobe):
…//“Die Stimmung, eine wütende, stiebt in den Wagenhimmel empor. Dort schwankt sie ein Tanztau entlang, eine Nervenbahn, die über den Abgrund offener Gewalt gespannt ist. Schon stoßen sich die Stampfstiere in die Seiten, schon bläuen sich Schaumschnauber Ohren und Augen, da versalzsäult ein Klopfen sowohl ihr Treiben als auch das Obertönen des Pekinesenoriginals“...//
Und:
…//“Die Scheiben des Schöpfungsschisses (die alte Karre) schielen auf eine Eiskruste, auf eine Weißwüste, die die Reisenden mit Blindheit schlägt. Angstameisen amoklaufen, Panikpillendreher klettern auf Kotkugeln“…//
Der Duktus ist gewöhnungsbedürftig: Das Überfliegen des Textes erweist sich als fruchtloser Versuch, Sinn und Inhalt des Gedruckten zu erfassen.
Was die Reisegesellschaft auf ihrer Suche nach Verwertbarem erwartet, wird hier verschwiegen. Das muss der Leser selbst herausfinden.
Roman, 102 Seiten, Paperback, DIN A5-Format
Bench Press Publishing, Grabenstätten–Druck SDZ, Dresden. 1. Auflage 2005
ISBN 3-933649-23-4
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