Hartmut T. Reliwette
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Rezensionen
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REZENSIONEN  


Kai Engelke:
Der Vollzeit-Erschrecker

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Den mehr oder weniger kurzen "kriminellen Stories" sind Zitate bekannter und unbekannter Menschen vorangestellt; allem jedoch ein Vorwort von Jürgen Alberts. Im Anschluss daran meldet sich der Vollzeiterschrecker selbst zu Wort und räumt mit der Vision potenter Zeitgenossen auf, dass Gutes über Böses in dieser Welt obsiegen kann. Die Mordgeschichten beginnen mit "Briefverkehr 1", dem ein Graffitispruch aus Hamburg besonderes Flair verleiht: "Wennde Montach überlebs, is Dienstach"... Übrigens - "Briefverkehr" taucht als Fortsetzungsgeschichte sporadisch zwischen einzelnen Kurzgeschichten auf wie ein "Running Gag" und endet als - Fortsetzungsgeschichte. Dem Leser wird irgendwann deutlich: Einer jagt dem anderen eine ominöse Begehrlichkeit ab - ohne es zu überleben.

Die Handlungen seiner Mord- und "Spaßgeschichten" - der Autor sieht scheinbar darin kaum einen Unterschied - lässt er vorwiegend in seiner Wahlheimat ablaufen: Zwischen Moor und Weideland.

Der Autor beherrscht die Klaviatur der Erzählweise, schreibt im Präsens, dokumentiert fiktive Handlungsabläufe vollzogener Unzulänglichkeiten bis ins Detail oder lässt den Leser an der Entwicklung konstruierter Tathergänge und deren Motivationshintergrund teilhaben, bringt ihn nicht selten in Gewissenskonflikte zwischen klammheimlicher Schadenfreude und Entsetzen über mangelnde Konfliktfähigkeit der handelnden Parteien. Es mag vorkommen, dass der Leser sich dabei erwischt, in ähnlichen, selbst erlebten Lebenssituationen, bereits zum Gedankentäter geworden zu sein. Vom Psychologischen her sind die Spannungsmomente zum Beispiel zwischen den Akteuren einer von Alttäglichkeiten zerriebenen Beziehungskiste kompetent hinterfragt und literarisch umgesetzt. Wenn nur die Lacher dazwischen nicht wären. Wer Engelke liest, findet im Vollzeit-Erschrecker einen Autor, der vielen Menschen die Kompetenz für Konfliktlösungsstrategien abspricht. Das steht nicht wörtlich zu lesen: Gewissermaßen über den Dingen stehend stellt er durch dramaturgisch inszenierte Konfliktsituationen im "mitmenschlichen Gegeneinander" die scheinbar einzig mögliche Variante einer Problembewältigung zur Diskussion: Die Lösung des Konfliktes durch gewaltbesetzte Entledigung seines Widerparts. Destruktiv? Durchaus nicht, denn die überwiegend in Satire umgesetzten Spannungsfelder innerhalb unserer gesellschaftlichen Bräuche, Wertevorstellungen und Umgangsformen geraten nicht selten zur Groteske. Engelke reichert die Geschichten mit Detailgenauigkeit an, schöpft aus einem reichen Fundus an selbst Wahrgenommenen und Fachwissen und lässt den Leser zur Erkenntnis gelangen, dass die Kurzkrimis dem Autor als Kulissen dienen, vor denen er seine weltanschaulichen Erkenntnisse umsetzt.

Ein erhobener Zeigefinger des Lesers (ich habe da eine Frage...) ballt sich zuweilen zur Faust, die das vor Lachen gebeutelte Zwerchfell stützt. Irgendwie im Bereich zwischen Schmunzeln, Lachen und Entsetzen wird die Reaktion des Lesers auf den Vollzeit-Erschrecker angesiedelt sein. Empfehlung: Lesenswert, besonders für Menschen, denen das alles nie passieren könnte...

Hartmut T. Reliwette

Kai Engelke: "Der Vollzeit-Erschrecker"
Kriminalgeschichten, 174 Seiten
Karton- Hochglanzcover
Titelillustrationen von Andreas Herrmann
Leda Verlag ISBN 3-93 49 27-13-0 - Preis: 10 Euro.