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Manfred C. Schmidt

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Anfang der 80er Mitglied im Schülerkabarett "Kabarött", schreibt kleine Sketche, Szenen und Lieder. Beiträge für den Regionalsender "Radio Jade". Veröffentlichung verschiedener Kurzgeschichten und -krimis die er z.T. auch ins Plattdeutsche übersetzt. Veröffentlichungen in verschiedenen Tageszeitungen. Mitglied des Arbeitskreises "Ostfriesischer Autoren und Autorinnen" und Anwärter beim VS.

Homepage:
www.schmidt-esens.de






Attentat

Wie erst jetzt bekannt wurde, gab es innerhalb eines Jahres erneut einen heimtückischen Anschlag auf das Leben des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Was zunächst wie ein Unfall aussah, entpuppte sich jetzt jedoch als gezieltes Attentat europäischer Terroristen. Der Sprecher des Weißen Hauses, Ken Lisaius, berichtete von massiven Vergeltungsschlägen, die sorgsam geplant seit zwei Tagen durchgeführt würden.

Wie vor einem Jahr verschluckte sich vorgestern Nacht der Präsident George Bush an einer einfachen Brezel und fiel ohnmächtig vom Hocker. Bush, der seit dem Beschäftigungsverbot von Praktikantinnen in Amtsgebäuden zunehmend über Langeweile klagte, hatte sich diesen Snack während des Football-Spieles Baltimore Ravens gegen Miami Dolphins reingepfiffen. Allein und vereinsamt auf dem Sofa sitzend, blieben ihm Teile des Backwerkes quer im Hals stecken und er erlitt einen Schwächenanfall. Ganze 20 Minuten lag der mächtigste Mann der Welt ohnmächtig auf seinem Teppich. Die wachhabende Krankenschwester Cindy Wright leistete Erste Hilfe und rief den Hausarzt Richard Tubb. Wie dieser dem Nachrichtensender CNN berichtete, kam Bush wieder zu sich und redete wirr. Er hatte sich also sehr schnell erholt. Eine Unterversorgung des Gehirns war ohnehin nicht zu befürchten.

Mit Hochdruck und Akribie arbeiten Agenten des FBI und des CIA an den Hintergründen des Attentates. Sie fanden sehr schnell heraus, dass diese Brezel Bestandteil eines Präsentkorbes war, den ein süddeutscher Politiker bei seinem letzten Staatsbesuch aus seiner bayerischen Heimat für den US-Präsidenten mitgebracht hatte. Dieser arglistige Versuch hätte fast zum Erfolg geführt. Schon öfter fiel der Führer des äußerst rebellischen Bergstammes im Freistaat Bayern durch seinen ausgeprägten Antiamerikanismus auf. In einem geheimen Antrax-Schreiben an die Bundesregierung forderte er zum Beispiel die rigorose Abschaffung aller Anglizismen zur Bewahrung der deutschen und insbesondere der bayerischen Sprache. Bei einer Versammlung vor der Feldherrenhalle rief er in einer Rede vor Tausenden seiner Anhänger zum Widerstand gegen Amerika auf. Anschließend zog sich dieser gefährliche Terrorist mit seinen treuesten Kämpfern mit der Berg- und Talibahn zurück. Zur Zeit wird er in dem weitverzweigten Tunnelsystem Wolfsschanze in Berchtesgaden vermutet.

Noch in der Nacht gelang es der amerikanischen Luftwaffe erfolgreiche Angriffe auf Munitions- und Branntweinlager zu fliegen. Dabei kam es aber leider wegen alter Landkarten aus dem Zweiten Weltkrieg und der mangelnden Geografiekenntnisse der US-Piloten zu einem verhängnisvollen Fehlschlag: Sie flogen bei der ersten Angriffswelle zu weit ins benachbarte Österreich, wo sie in Wien den Prater bombardierten. Sie hielten das Riesenrad für eine gigantische Stalinorgel: Also ein eindeutiges militärisches Ziel, so dass Zivilisten nicht zu Schaden gekommen sein dürften, wie die Amerikaner mitteilten.

Beim Einsatz von Bodentruppen, der Ledernacken sowie der Gebirgsmarines wurden zahlreiche Videofilme entdeckt, die den bajuwarischen Terroristenchef im Oktober in einem Ausbildungslager auf einer Wiese bei München zeigten. Die ersten übersetzten Brocken der schwerverständlichen Sprache deuten darauf hin, dass der Brezelanschlag genau durchkalkuliert war. Sinngemäß wurde darin mitgeteilt, dass man sehr wohl wusste, dass der Genuss der staubtrockenen Brezeln ohne gleichzeitige Einnahme von Flüssigkeit unmöglich sei und die Krümel automatisch in die Luftröhre gelangen würden. Die Bilder unterstrichen die Aussage: Der Terroristenchef löschte seinen Milzbrand mit einer Maß Bier und hielt in der linken Hand demonstrativ eine Brezel hoch. Viele bayerische Kämpfer waren in ihren ledernen, kurzbehosten Kampfanzügen zu sehen, während sie hämisch Bierhumpen stemmten und schunkelnd Schmählieder sangen. Auf einem anderen Video zeigten die Bayern ihre Waffen, die die CIA ihnen während des Kalten Krieges für den Kampf gegen die Sowjets geliefert hatten. Die fundamentalistischen Eiferer, die sich auch immer wieder mit ihren preußischen Landsleuten schwertaten, sind mittlerweile auf allen Gebieten auf dem Rückzug. Die Kapitulation ist in den nächsten Tagen zu erwarten. Neben schweren Bombardements setzen die Amerikaner auch auf ihre humanitäre Taktik: Sie warfen für die durstleidende Bevölkerung mehrere hunderttausend Bierflaschen ab. Ob diese Hilfe allerdings ankommt, wagen Kritiker zu bezweifeln.

Während sich die Bush-Regierung auch auf diplomatischem Gebiet Rückendeckung bei den Verbündeten verschafft, wandte sich Bundeskanzler Schröder an die deutsche Bevölkerung und erklärte den Bündnisfall: Er sicherte den Amerikanern volle, besinnungslose Unterstützung zu!





Katzensitter oder Mietzi

"Mietziiiiiii! Mietziiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!"
Eigentlich bin ich der Katzenversteher.
"Mietziiiiiiiiii! Wo steckst du alte Ratte?"

Aus diesem Grund brachte meine Schwester ihre Lieblingskatze zu mir zum Katzensitting.
"Lass die Küchentür zu. Die räumt dir den Kühlschrank leer!"
"Klaro!" Damals glaubte ich es noch nicht.

Mietzi lebte nun fast zwei Wochen bei mir. Mietzi. Was für ein bescheuerter Katzenname! Noch schlimmer finde ich es, wenn eine Katze Muschi heißt: Muschiiiiiii, komm! Muschi, was für Assoziationen - nun gut, wie du mir, Sodomie.

Natürlich lehnte ich die Küchentür nur an. Das elende Katzenvieh legte sich daraufhin vor den Kühlschrank, hakte mit den Vorderpfoten unter die Tür und spannte Sehnen und Muskeln: Plopp, der Lebensmittelsafe war geknackt und das teure Lachsstück verschmierte halb angefressen die Auslegware. Dicke Schmeißfliegen machten sich über die Reste her.

Danach schlief das Krallentier in meinem neuen Sessel, nicht ohne sich am teuren amerikanischen Beutebüffelleder die Krallen zu wetzen. Den fetten Fisch nicht gewohnt, kotzte sie dann ihren halbverdauten Mageninhalt auf den hellen Flokatiteppich. Zuvor fraß sie für den Würgreiz das Pampasgras ab - ein Einzugsgeschenk meiner Lieblingsnachbarin.

"Mietziiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!"

Pseudokatzenkenner würden nun sicherlich behaupten, mein liebreizendes Rufen, wäre der Grund, dass Mietzi immer wieder verschwunden war, ich aber sage, das Miststück versteckte sich boshafterweise vorsätzlich. Sie wollte mich in Gang halten, sie wollte mir Sorgen bereiten, Sorgen, dass ich meiner Schwester die Katze nicht wohlbehalten zurückgeben könnte. Sie war hinter dem Schrank eingeklemmt, fiel in die Kloschüssel, überschwemmte mit dem nassen Fell das Holzparkett, das sich wellte und löste. Bei ihren Klettertouren auf der Fensterbank schmiss sie reihenweise Blumentöpfe um - von wegen eleganter Kletterer - zerriss die seidenen Fensterschals und schlitzte die teuren Aquarellbilder des bekannten Larrelter Maler Hieronimus Janssen auf.

"Mietziiiiiiiiiiii!"

Trotz meiner sprichwörtlichen Geduld mit Tieren - Mietziiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii! - kam ich zu der Meinung, dass man auch einem Tier die Grenzen aufweisen muss. Negativ-reziproker Sozial-Darwinismus sozusagen. Bei der nächsten Verfehlung der Katze drehte ich die Reglereinstellung meiner Stereoanlage zwischen sehr laut und kaputt auf. Danach war die Katze verschwunden. Ich suchte und suchte: "Mietziiiiiiiiiiiiiiiiiiii!"

Den halben Tag suchte ich und rief: Mietzi! Erst auf dem Balkon bemerkte ich aus den Augenwinkeln die kleine winzige Kralle, mit der sich Mietzi außen am Balkonbodenbrett festhielt. Da hing sie nun, die Terrorkatze, und sah mich mit ihren gelben Augen flehend an. Ein kleiner Tritt mit den Birkenstock-Natur-Clogs hätte nach einigen Sekunden ein leichtes Ploppen auf dem Asphalt bedeutet - fünf Stockwerke tiefer, ein Möllemann-Abgang.

Ich zögerte, war hin- und hergerissen. Kaum reichte ich Mietzi die Hand, wusste ich, dass ich einen Fehler begangen hatte. Die Katze hangelte sich an meinem Arm hoch und zerkratzte mir nicht nur die neuen, teuren Klamotten, sondern auch den Oberarm und den Rücken. Die Blutvergiftung wurde durch Antibiotika geheilt, die allerdings wiederum Pilzbefall im Genitalbereich hervorrief. Meine Freundin, die ich ansteckte, machte nun endgültig Schluss: Nicht nur das, viel schlimmer, sie ließ auch noch die Küchentür offen, als sie verschwand. Für Mietzi war es ein leichtes Spiel an die Schweinelendchen zu gelangen.

Völlig übermüdet beschloss ich, ein Nickerchen zu machen. Die Katze maunzte als nachtaktives Tier vor meinem Bett und miaute herzerweichend.

"Mietziiiiiiiiiiii!"

Schreien, Brüllen, Pfeifen hatten nur die empörte Reaktion meiner Nachbarn zur Folge: Besenstiele, Kochlöffel und Topfdeckel traktierten Wände und Decken. Erst ein gut gezielter Wurf mit dem Reisewecker setzte die Katze außer Gefecht.

Es war fünf Uhr morgens. Vorher musste das elende Tier aber noch meine Birkenstock-Natur-Clogs mit den kleinen schwarzen Katzen-Lakritz-Stangen gefüllt haben. Ich bekam die Schuhe zwar an, aber nicht wieder aus und sie stanken fürchterlich, wohl auch, weil sie in der Urinpfütze schipperten.

Mittags öffnete ich als Vergeltung die letzten zwei Dosen Sheba-Katzenfutter, garnierte sie sorgfältig mit Petersilie auf einem Teller und schob mir mit einer Kuchengabel vor den Augen der erwachenden Katze das Dosenmenü häppchenweise in den Mund. Genüsslich kaute ich dem hungrigen Minitiger die Katzenwurst aus Pansen vor.

Nun schlich ich mich aufs Sofa, um die verpasste Nachtruhe nachzuholen. Erstaunt bemerkte ich, wie sich das Tier mit dem weichen Flauschefell neben mich legte. Sie schnurrte und gurrte, als ich sie streichelte.

Aber plötzlich grub sie alle verfügbaren Krallen in meinen Oberschenkel. Blut spritze. Wütend griff ich die Katze im Genick. Das Blut versaute Sofa und Tapete. An der Wand entstand ein großer Fleck.

Zwei Tage später kam meine Schwester zurück: "Wo ist meine Katze?"

Verschämt blickte ich zum großen Fleck an der Wand und sagte: "Katze? Welche Katze?"





Nur Zuschauer

Die Anstrengungen des Seminars drückten meine Stimmung. Stundenlanges Zuhören, schlechte Heizungsluft und mittelmäßiges Vortragen konnten genauso ermüdend sein, wie schwere körperliche Arbeit mit dem Spalthammer beim Holzhacken.

Der Gang zum Markt füllte meine Lungen mit neuem Sauerstoff. Broccoli, Salat, Kohlpflanzen, Geflügel, Fisch, Käse, Kartoffeln und andere Naturalien sackten die Kunden an den bunten Wochenmarktständen ein. Alles lief in geordneten Bahnen. Friedlich war es.

Meine Schultern entspannten, mein Blick erhellte sich und ich begann mich wieder wohler zu fühlen. Unbewußt führten mich die ausgetretenen Pfade - wie immer, wenn ich in dieser Stadt war - zielstrebig in das italienische Eiscafe 'Venezia'. Hier nahm ich die rauchgeschwängerte Luft gleichmütig hin, entschädigte doch der Fensterplatz im ersten Stock mit einem großartigen Überblick über den Marktplatz.

Das rege Treiben an den Ständen ließ nun gegen Mittag etwas nach. Die leicht berieselnde Musik von Eric Clapton im Cafe beeinflußte meine Gefühlslage weiter positiv: "I shot the sheriff...".

Der Milchkaffee wurde von der blonden Italienerin serviert. Schwarzhaarige gefallen mir eigentlich besser - sei's drum. Die ehemals weißen Gardinen verdeckten die hintere Ecke des Marktplatzes. Doch gerade dort schien etwas Bewegung in die Szenerie zu kommen. Viele Passanten blickten in diese Richtung, nur ich konnte leider nichts erkennen. Mit der linken Hand schob ich die Gardine zur Seite.

Die zahlreichen jungen Leute, die sich aus dieser Ecke über den Platz ergossen - überwiegend schwarz gekleidet -, trugen zum Teil Gesichtsmasken. Sie schwenkten schwarze, auch rote Fahnen und Transparente. Dahinter tauchte eine zweite Gruppe auf. Olivfarben uniformierte Polizisten mit Schlagstock und Schutzschild trieben die Jugendlichen voran.

"Nazis raus!" "Solidarisieren, mitmarschieren!" Die Rufe der Demonstranten hallten zu mir hoch und mischten sich unter die leise Rockmusik: "I shot the sheriff..." Der ganze Marktplatz kam in Bewegung: Passanten flohen, Stände kippten um, Glas splitterte, Steine flogen, Schreie, Rufe, Blaulicht. Ich beobachtete erste Festnahmen.

"Antifa-Demo in Aurich! Gewalttaten befürchtet!" Die Schlagzeilen der Morgenzeitung kamen mir in den Sinn. Früher war ich auch mit dabei gewesen! Früher fehlte ich auf keiner Demo! Früher... tja, früher war ich auch noch jünger: Emder Jugendtreff "Teestube", Brokdorf-Demo, Uni-Demos in Oldenburg... lange her. Gleichgeblieben waren nur die Schlagzeilen und Wertungen, heute wie damals: Chaoten, Terroristen, Radikale!

Rechts von meinem Aussichtsplatz entdeckte ich weitere Olivuniformierte: Fünf kahlköpfige Fleischberge in Bomberjacken und Springerstiefeln provozierten aus einer Häusernische heraus die Demonstranten und Passanten. Ein kleiner Gang sicherte ihnen einen eventuellen Fluchtweg über die Hinterhöfe.

Ein Ausländer rannte mit seiner blonden Freundin an ihnen vorbei: "Kanakenschlampe!" Der junge Mann schlug mit der Faust zu, als die Nazis die beiden einholten. Gegen die Baseballschläger hatte er allerdings keine Chance. Die Blonde kam ihm zu Hilfe. Ein Schlag traf sie. Sie kippte seitlich um.

Sollte ich eingreifen? Ich würde zu spät kommen! Ich mußte noch den Kaffee bezahlen! Meine Hände krallten sich an der Tischkante fest, ich blieb aber sitzen. Wie erwartet, flüchtete die Nazitruppe, als einige Demonstranten sich näherten. Schon waren Sanitäter zur Stelle. Ich atmete auf. Auf der anderen Marktplatzseite konnte ich sehen, wie sich die Glatzen neu formierten. Es waren zwei weitere hinzugekommen. Das Spiel begann von vorn, während um die Mitte des Marktplatzes von der Polizei ein Kessel gebildet wurde. Mannschaftswagen fuhren in den Seitenstraßen vor.

Die Nazis hatten neue Opfer gefunden. Aber diesmal gab es vehemente Gegenwehr.

Ich stand auf. Endlich!

Ich zählte vier DM für den Kaffee ab, das waren fast zwei Euro!

Ich wusste, ich hatte die Zeche zu zahlen!